Erfolgreich fusionieren
Quelle: Georg Kraus

Erfolgreich fusionieren

Von Georg Kraus

Fusionen stellen ein Unternehmen auf die Probe, weil sich unter Mitarbeitenden schnell Unsicherheit und Widerstand breit macht.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2015/12

     

Für die Top-Manager nicht nur börsennotierter Unternehmen ist es oft ein Höhepunkt ihrer Karriere, wenn sie verkünden können: «Unser Unternehmen übernimmt einen Wettbewerber.» Entsprechend zuversichtlich sind meist ihre Zukunftsprognosen: «Durch die Fusion steigt unser Marktanteil um 12 und unser Umsatz um 18 Prozent. Ausserdem erzielen wir hohe Synergie-Effekte», heisst es. Oder: «Durch die Fusion erschliessen sich uns neue Geschäftsfelder und Absatzmärkte. Dadurch eröffnen sich uns ganz neue Perspektiven.»
Umso ernüchternder ist oft der Alltag nach dem Verkünden der Übernahme oder der Fusion. Denn oft unterschätzen die Top-Manager die Tücken des damit verbundenen Integrationsprozesses – speziell auf der kulturellen Ebene. Die Kultur eines Unternehmens lässt sich anders als dessen Strukturen und Prozesse nur begrenzt mit Instrumenten wie Organigrammen und Ablaufdiagrammen erfassen. Und ihre Entwicklung lässt sich nur bedingt am «Reissbrett» planen.

Mitarbeiter ahnen früh: Es ist etwas im Busch


Zudem lösen Fusionen und Umstrukturierungen bei Mitarbeitenden der betroffenen Unternehmen stets Unsicherheiten und Ängste aus – denn hierbei gibt es neben Gewinnern stets auch Verlierer. Zumindest erleben das viele Personen so. Diese oft diffusen Ängste und Befürchtungen gilt es aufzufangen. Sonst besteht die Gefahr, dass sie sich zu Widerständen verdichten.
Dabei ist zu beachten: Die Ängste werden in der Regel umso grösser, je länger Mitarbeiter nicht wissen, was auf sie zukommt. Dann beginnt die Gerüchteküche zu brodeln, der Veränderungsprozess erscheint für die Mitarbeiter in einem negativen Licht und selbst Personen, die faktisch zu den Gewinnern zählen, stellen sich dagegen. Deshalb sollte das Management so schnell wie möglich reagieren.

Viele Manager sind zwar überzeugt: «Wir sollten die Mitarbeiter erst informieren, wenn alles in trockenen Tüchern ist und ein für allemal feststeht – sonst erzeugen wir Unsicherheit». Entsprechend zurückhaltend informieren sie ihre Mitarbeitenden. Dabei sind die Mitarbeiter spätestens dann in Alarm-Stimmung versetzt, wenn zumindest bei börsennotierten Unternehmen aufgrund der bestehenden Informationspflicht erste Meldungen über eine mögliche Fusion durch die Presse geistern (selbst wenn die Fusion letztlich nicht erfolgt). Meist schrillen sogar noch früher bei ihnen die Alarmglocken. Zum Beispiel, wenn ihre Chefs in Meetings plötzlich regelmässig ihre Köpfe zusammenstecken und niemand weiss, worum es geht. Oder wenn plötzlich in ihren Abteilungen regelmässig Männer in grauen Anzügen und Frauen in grauen Kostümen auftauchen, die intern niemand kennt.
Das frühzeitige Informieren der Belegschaft ist auch deshalb sinnvoll, weil für Fusionsprozesse von Unternehmen und Unternehmensbereichen gilt: Sie lassen sich nicht im Detail planen. Viele Entscheidungen haben einen vorläufigen Charakter, auch weil nicht alle Einflussfaktoren und Wechselwirkungen präzise erfasst werden können. Zudem betreten das Unternehmen und sein Management bei Fusionen und Übernahmen oft Neuland, praktische Erfahrungen fehlen. Deshalb führt die Angst davor, falsch oder unvollständig zu informieren, oft dazu, dass die Betroffenen fast keine offiziellen Informationen erhalten. Dieses Informationsvakuum nährt Gerüchte und Halbwahrheiten, die wiederum Ängste schüren.

Eine neue Identität kreieren

Jedes Unternehmen hat seine eigene Geschichte und Kultur. Fusionieren zwei Unternehmen, entbrennt meist ein Kampf um das neue Leitbild. Diesen gewinnt, sofern dieser Prozess nicht gesteuert wird, in der Regel das übernehmende Unternehmen, selbst wenn offiziell eine «Hochzeit unter Gleichen» verkündet wird. Der Übernehmer dominiert das übernommene Unternehmen. Dasselbe gilt, wenn zwei Niederlassungen von Unternehmen oder Unternehmensbereiche, wie zum Beispiel der Service und der Vertrieb, fusionieren. Damit sich Mitarbeitende aber nicht übergangen fühlen, empfiehlt es sich stattdessen, bei Fusionen eine Analyse durchzuführen, welche Elemente in den Kulturen der beiden Unternehmen die Zielerreichung fördern und deshalb in die neue Kultur einfliessen sollten.
Beim Versuch, eine Unternehmenskultur zu verändern, spielt das Top-Management eine Schlüsselrolle. Es muss die neue Kultur vorleben. Versuche, Kulturveränderungen ausschliesslich über das mittlere Management herbeizuführen, scheitern meist. Unterschätzt werden darf auch nicht die Langwierigkeit von kulturellen Veränderungsprozessen. Sie dauern bei grösseren Unternehmen und Organisationseinheiten in der Regel mindestens drei Jahre.

Vor allem grössere Unternehmen investieren viel Zeit und Geld in den Aufbau einer Corporate Identity, also einer Firmenkultur. Denn die Mitarbeiter sollen stolz auf «ihr» Unternehmen sein und sich mit ihm identifizieren. Bei einer Fusion bricht jedoch, speziell beim übernommenen Unternehmen, diese Identität weg. Vielen Mitarbeitern, insbesondere denjenigen, die sich stark mit der Firma identifizieren, fällt es schwer, sich vom bisherigen Unternehmen mit seinen Gepflogenheiten und Ritualen zu verabschieden. Sie trauern. Dieses Abschiednehmen erfordert seine Zeit und kann kaum forciert werden. Im Privatleben erachten wir dies als selbstverständlich. Im Unternehmenskontext hingegen existiert hierfür meist wenig Verständnis. Ein vorübergehend lethargisches oder gar aggressives Verhalten wird selten als Ausdruck von Trauer interpretiert und respektiert.

Top-Management muss überparteilich sein

Bei Fusionen und Umstrukturierungen leben Mitarbeiter bis zum Übergang in die neue Struktur oft in einem Schwebezustand. Wie geht es weiter? Was wird aus mir? Wird es meinen Job noch geben? In dieser Situation zeigen Mitarbeiter oft folgende Verhaltensmuster:

- Dienst nach Vorschrift: Sie identifizieren sich nicht mehr mit dem Unternehmen, machen nur noch Dienst nach Vorschrift, folgen nur noch bedingt den Anweisungen ihrer Vorgesetzten.
- Operative Hektik: Sie verfallen in Aktionismus. Es werden zahllose Projekte generiert. Die Mitarbeiter wollen überall mitmischen, um in einem guten Licht zu erscheinen. Nicht die Qualität der Arbeit, sondern die «Show nach oben» zählt.

Deshalb ist es wichtig, dass das Top-Management insbesondere den Führungskräften in der Organisation in der Übergangszeit eine Orientierung bietet. Sonst verpufft viel Energie wirkungslos.
Bei Fusionen und Umstrukturierungen werden meist in kurzer Zeit viele folgenschwere Entscheidungen getroffen – zum Beispiel über IT-Systeme, Stellenbesetzungen, Markt- und Produktstrategien. Häufig setzt sich dabei nicht das bessere, sondern das Konzept des Übernehmers durch. Felder werden besetzt und Territorien neu verteilt, wobei auch Eigeninteressen eine grosse Rolle spielen. Deshalb sollte das Top-Management auf eine gewisse Überparteilichkeit achten, damit insbesondere im übernommenen Unternehmen keine überflüssigen Verlierer den Prozess blockieren.
Fusionen und Umstrukturierungen sind ein schwieriges Geschäft – auch, weil die eigentliche Arbeit erst nach der nötigen Grundsatzentscheidung des Managements und deren Verkünden beginnt. Unternehmensführer müssen sich bewusst sein: Eine gelungene Integration gibt es nicht zum Nulltarif. In den Monaten und Jahren nach dem Verkünden der Fusion muss das Unternehmen viel Energie in das Gestalten dieses Prozesses investieren. Ausserdem sollte er professionell gesteuert und eventuell durch externe Experten begleitet werden – um sicherzustellen, dass bei den (Folge-)Entscheidungen stets die drei Aspekte Strategie, Struktur und Kultur beachtet werden, die sich wechselseitig beeinflussen.

Gerüchte und Halbwahrheiten schüren Ängste


• Angst vor Einkommenseinbussen
• Angst vor einem Arbeitsplatzverlust
• Angst vor neuen Aufgaben
• Angst vor dem Verlust wichtiger persönlicher Beziehungen (zum Bespiel aufgrund einer Versetzung)
• Angst vor einem Verlust an Sozialprestige
• Angst vor einem Verlust von Handlungsspielräumen und Entscheidungsbefugnissen
• Angst vor geringeren Entwicklungs-/Karriere-Chancen

Ein Kommunikations- konzept als A und O


Im Vorfeld jeder (angedachten) Fusion oder Umstrukturierung sollten Unternehmen ein Kommunikationskonzept erstellen – mit folgenden Zielen:
1. Verständnis für die Notwendigkeit der Fusion/Umstrukturierung schaffen.
2. Vertrauen für die damit verbundenen Entscheidungen aufbauen.
3. Akzeptanz bei den Mitarbeitern bewirken.
4. Motivation für die einzelnen Schritte erzeugen.
5. Die Basis für die Identifikation mit dem neuen/veränderten Unternehmen schaffen.

Der Autor


Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal (www.kraus-und-partner.de). Er ist unter anderem Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-Provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal.


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