Digitale Bilder verschmelzen mit der Realität
Quelle: Zühlke

Digitale Bilder verschmelzen mit der Realität

Von Daniel Diezi

Virtual, Mixed und Augmented Reality verändern die Geschäftswelt. Wo früher zweidimensionale Darstellungen standen, lassen sich Objekte heute dreidimensional in die Umgebung integrieren.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2017/12

     

Die Darstellung digitaler Inhalte am flachen Bildschirm ist bestens bekannt – und Schnee von gestern. Für viele Anwendungen ist ein virtuelles, dreidimensionales Bild, das am besten mit seiner realen Umgebung verschmilzt, die überlegene Art der Darstellung. Dank einer rasanten Entwicklung in den vergangenen beiden Jahren wachsen das Potenzial und die Zahl der Anwendungen in diesem Bereich derzeit massiv.

Eintauchen in digitale Welten

Doch vorab eine Erklärung, denn rund um den Begriff der virtuellen Realität gibt es drei wichtige Schlagworte: Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) und Mixed Reality (MR). Die drei Ausdrücke stehen für unterschiedliche Technologien, die sich jeweils für andere Einsatzgebiete eignen. Der erste Begriff ist am geläufigsten: Virtual Reality steht für ein vollständiges Eintauchen in computergenerierte Welten.


Der Nutzer sieht mit der VR-Brille nur digitale Bilder, die ihn umgebende Realität ist verdeckt, das Eintauchen, englisch "Immersion", ist total. Die bekanntesten VR-Geräte sind die vergleichsweise teuren und sehr performanten Headsets Oculus Rift und HTC Vive sowie Google Cardboard am anderen Ende der Preisskala – bei letzterem wird einfach ein Smartphone als Bildschirm eingesteckt, was für einfache Anwendungen in der Regel reicht. Neuen Schub für das Thema VR dürften Headsets geben, die Microsoft in Zusammenarbeit mit Hardware-Herstellern diesen Herbst herausgebracht haben. Die leistungsfähigen Geräte sind um einiges günstiger zu haben als jene von Oculus und HTC.

Hololens treibt Innovation an

Die beiden Begriffe Augmented und Mixed Reality bezeichnen dagegen Anwendungen, in der digitale Inhalte über die reale Umgebung gelegt werden, ohne sie komplett zu verdecken. AR umfasst Technologien, in denen Informationen in irgendeiner Weise in die reale Umgebung eingefügt werden, sei es nun ein Text, der ins Gesichtsfeld eingeblendet wird oder ein virtueller Wegweiser in einer realen Umgebung. MR steht für Anwendungen, die ihre reale Umgebung erfassen und virtuelle Objekte in sie hineinpflanzen. Die Abtrennung zwischen AR und MR ist indes nicht so eindeutig, wie sich die beiden Technologien zur VR hin abgrenzen.


Die grössten Fortschritte für Geschäftsanwendungen finden derzeit in den Bereichen AR und MR statt. Bei Mixed Reality ist es vor allem ein Gerät, das derzeit die Innovation antreibt: Microsofts Hololens. Diese Brille ist in der Lage, die Umgebung dreidimensional zu erfassen und ebensolche Bilder ins Gesichtsfeld der Trägerin oder des Trägers einzublenden. Die gesamte Hardware ist zusammen mit dem Akku in der Brille untergebracht, sie funktioniert also kabellos. Auf den Markt kam die Hololens vor rund einem Jahr, und bereits gibt es diverse produktive Anwendungen im geschäftlichen Umfeld.

Smartphones verschmelzen Digitales mit der Realität

Augmented Reality kommt vor allem über Smartphones und Tablets zum Einsatz: Die Kamera erfasst die Umgebung, die Software rechnet anschliessend digitale Objekte in das Gesichtsfeld der Kamera und zeigt auf dem Bildschirm eine angereicherte (englisch "Augmented") Realität an. Die Objekte stehen dabei korrekt in der Perspektive des Raumes, ihre Abbildung ist indes lediglich zweidimensional. Auch in diesem Bereich ist die Innova­tionsrate derzeit hoch, da Apple vor einigen Monaten mit ARKit eine eigens auf AR ausgerichtete Plattform vorgestellt hat und diese fleissig bewirbt. Und auch Google hat mit ARCore auf dem hauseigenen Smartphone-Betriebssystem Android eine entsprechende Technologie im Angebot.


Während HTC Vive, Oculus Rift und Microsoft Hololens leistungsstarke und spezialisierte Anwendungen erlauben, sind die entsprechenden Geräte bisher nicht sehr verbreitet. Lösungen, die auf Googles Cardboard aufbauen oder ARKit respektive ARCore einsetzen, lassen sich dagegen auf einem Grossteil der aktuellen Smartphones nutzen und profitieren von deren hohen Verbreitung.

Unterstützung für Arbeiter

Diese bisher bekannten Anwendungen fallen zu grossen Teilen in den Bereich "Empowered Worker". Sie unterstützen die Arbeiterin oder den Angestellten und verleihen ihnen so zusätzliche Fähigkeiten. Vor allem die Hololens birgt grosses Potenzial. Mit ihr lassen sich zum Beispiel interaktive Anleitungen einblenden; ein Medienbruch wird dabei verhindert, weil die Benutzenden nicht zwischen ihrer Arbeit und einer gedruckten Anleitung hin und her wechseln müssen. Die eingebaute Kamera kann zudem auch gleich die Dokumentation der Arbeitsprozesse übernehmen, ohne dass zusätzliche Schritte notwendig sind. Das kann gerade in Bereichen mit hohen regulatorischen Ansprüchen viel Zeit einsparen. Und schliesslich lassen sich mit MR auch interaktive Steuerungen realisieren. Die Bedienungsfelder zur Steuerung werden direkt ins Gesichtsfeld des Bedieners eingeblendet, die Kommandos lassen sich per Geste eingeben, weitere Geräte werden dazu nicht benötigt.

VR-Training spart Kosten

Für Schulungen ist dagegen VR das Mittel der Wahl: Angestellte können Tätigkeiten so direkt an einem digitalen Abbild, einem "Digital Twin", einüben. Für das Training reichen eine VR-Brille, ein leistungsstarker Computer und die entsprechende Software. Das reale Objekt, dessen Bedienung geübt wird, ist nicht mehr nötig.

Die Ausbildung wird so weitgehend ortsunabhängig und rückt durch die dreidimensionale Darstellung und mögliche Interaktion näher an die Praxis. Zudem lassen sich Materialkosten einsparen. So können beispielsweise Lackierer ihr Handwerk an einer virtuellen Autotür erlernen. Dazu brauchen sie nur die entsprechende VR-Ausrüstung. Farbe und eine reale Blechunterlage fallen dagegen weg, zudem kann der Computer auch gleich die Funktion des Trainers übernehmen und Schwachpunkte in der Technik präzise analysieren und aufzeigen.

Für Laien entwickelt, von Profis genutzt

Die Möglichkeiten der Technologie gehen aber weit über die beschriebenen Anwendungen hinaus. Denn VR, MR und AR haben das Potenzial, mit neuartigen Anwendungen Kunden zu begeistern. Beispielsweise im Bereich Architektur: Hier eröffnen Virtual und Mixed Reality die Möglichkeit, Kunden verstärkt in die Gestaltung einzubeziehen. Selbst Spezialisten fällt es teils schwer, sich ein geplantes Gebäude vorzustellen. Mit einer VR-Brille lassen sich dagegen die bereits dreidimensional vorhandenen Plandaten mit vergleichsweise kleinem Aufwand erlebbar machen. Die späteren Bewohner können durch die Räume gehen, die spätere Aussicht geniessen oder auch den Stand der Sonne zu bestimmten Zeiten in den Räumen nachverfolgen.


Durch die VR-Darstellung wird es für Laien auch einfacher, in die Gestaltung und Planung einzugreifen – und nicht nur für sie, wie eines unserer Projekte gezeigt hat. Die erarbeitete Lösung war ursprünglich vor allem für virtuelle Begehungen für Interessenten noch vor Baubeginn gedacht. Bald kamen aber auch die Architekten selber auf den Geschmack und setzen VR-Brillen auch direkt für ihre Arbeit ein.

Die Kunden hineinziehen

Gerade im Bereich der AR zeigen bereits bestehende Anwendungen das Potenzial für die Interaktion mit den Kunden: Ikea hat eine App im Angebot, mit der sich Möbel aus dem Katalog digital in die eigene Wohnung stellen lassen. Kaufinteressierte erfahren so gleich, ob etwa das gewünschte Bett ins Schlafzimmer passt oder ob der ausgesuchte Tisch nicht doch zu gross ist für das Esszimmer. Die Anwendung lädt zum Experimentieren ein und kann im Optimalfall gar die Nachfrage ankurbeln. Mit aktueller AR-Technologie liesse sich zudem auch gleich ein digitaler Wegweiser für den Laden entwickeln, der die Kunden im Möbelregal im Laden direkt zum richtigen Fach führt.


Die Entwicklung im Bereich AR weist auch den Weg, was die Entwicklung der Geräte angeht: Derzeit arbeiten Hersteller von VR- und MR-Brillen, etwa HTC und Oculus, an portablereren Versionen ihrer Produkte. Zugleich dürfte die Hardware günstiger werden, sodass sie grössere Verbreitung findet. Für die Kunden bedeutet das, dass die Interaktion mit Computerbildschirmen bald kaum mehr nötig sein wird. Stattdessen werden digitale Abbilder erlebbar und lassen sich besser fassen, wodurch Produkte und Dienstleistungen näher zur Lebenswelt der Konsumenten rücken.

Der Autor

Daniel Diezi ist Innovations-Manager bei Zühlke. Er unterstützt Kunden bei der Entwicklung neuer Business-Modelle mit einem Fokus auf die Branchen produzierende Industrie und MedTech. Diezi ist Spezialist für Anwendungen in den Bereichen Mixed Reality, Augmented Realiy und Virtual Reality. Er ist studierter Wirtschaftsingenieur und hat einen Master in Business Administration. Diezi ist seit 2016 für Zühlke tätig.


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