Kundendienst: Kostenfaktor, Innovationsquelle, ­Bindeglied
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Kundendienst: Kostenfaktor, Innovationsquelle, ­Bindeglied

Von Jana Koehler

Der Kunde steht im Mittelpunkt und doch ist es schwierig, als Unternehmen wirklich für den Kunden da zu sein. Persönlicher Kontakt, adressatengerechte Kommunika­tion, schnelle Hilfe und unkomplizierte Lösung von Problemen sind die Ideale, die man anstrebt. Informatik-Technologien bieten zahlreiche Möglichkeiten, den Kundendienst zu gestalten. Nachfolgend einige aktuelle Entwicklungen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2017/09

     

Die Informationstechnologie verändert das Leben rasant und hat auch den Dienst am Kunden völlig verändert. Moderne CRM-Systeme bündeln alle Informationen zum Kunden, erlauben eine hoch­dynamische und effiziente Einsatzplanung der Service-Teams und stellen den Mitarbeitern im Callcenter Informationen und Hilfestellungen in unterschiedlicher Form zur Verfügung. Und doch gelingt der Dienst am Kunden nicht immer so perfekt, wie man es sich wünscht. Wer ruft wirklich gern im Callcenter an? Wie oft werden Kunden mehrfach weitergeleitet, erhalten nur unzureichend Unterstützung, dürfen für diese auch noch hohe Servicegebühren zahlen oder werden am besten gleich an den Self-Service-Kiosk verwiesen, wo sie ihre Probleme doch selbst lösen sollen?


Ebenso verändern sich die Zugänge der Unternehmen zu ihren Kunden. Wo früher langjährige persönliche Kontakte das Bild prägten, sieht man heute Multi-Channel-­Kommunikation, soziale Medien, und Online-Shopping. Die Individualisierung und Konnektivität von Produkten fordert den Kundendienst zusätzlich, der sich mit der Komplexität vieler Produktvarianten und ihrer Vernetzung konfrontiert sieht, die den Kundendienst-Experten ein immer umfassenderes und vielseitigeres Wissen abverlangen. Gleichzeitig steht dieser Bereich unter einem Kostendruck wie kaum ein anderer Bereich im Unternehmen, und Automatisierungslösungen sind sehr gefragt. So verwundert es kaum, dass gerade jetzt mit dem gestiegenen Interesse an Künstlicher Intelligenz Schlagworte wie Chatbots, Customer Self Service oder Robotic Process Automation viel diskutiert werden.
Schaut man sich den grundlegenden Ablauf der Prozesse im Kundendienst an, so sind diese nach der Kontaktaufnahme durch drei Phasen gekennzeichnet. Die Dokumentation/Beschreibung des Problems durch den Kunden selbst, einen Mitarbeiter des Kundendienstes oder andere involvierte Personen und Personengruppen, die Zuweisung des Problems an einen Experten und die Lösung des Problems durch einen oder mehrere Experten.


Im Idealfall hat der Kunde einen Ansprechpartner über alle drei Phasen und das Problem kann sofort durch den Mitarbeiter des Kundendienstes gelöst werden, der das Problem aufnimmt. Je weniger Weiterleitungen erforderlich sind, umso schneller wird ein Problem gelöst. Im ungünstigsten Fall ist der Kunde mit der angebotenen Problemlösung nicht zufrieden und kehrt zum Kundendienst zurück, der das Problem wieder aufnehmen muss. Kundenzufriedenheit und Kosten sind sehr stark durch die Zykluszeit der einzelnen Problemlösungsprozesse bestimmt. IT-Technologien fokussieren deshalb vor allem darauf, die Durchlaufzeit durch einen Prozess zu verkürzen.

Ressource Kundendienstmitarbeiter

Obwohl im Zusammenhang mit Technologien der Künstlichen Intelligenz ein besonders hoher Automatisierungsdruck zu beobachten ist, ist eher darauf zu plädieren, den Fokus des Technologieeinsatzes auf die Verbesserung der Mitarbeiterzufriedenheit im Kundendienst zu legen, also Mitarbeitende besser zu unterstützen und ihr zunehmend anspruchsvolles Arbeitsumfeld positiv zu gestalten und das vom Kundendienst angehäufte Wissen viel besser zu nutzen. Ersteres ist klar, da zufriedene Mitarbeiter eine Voraussetzung für zufriedene Kunden sind. Letzteres wird deutlich, wenn man daran denkt, dass kaum jemand über besseres Applikationswissen und Zugang zu den Bedürfnissen der Kunden verfügt als der Kundendienst. Wenn ein Produkt Probleme bereitet, anders verwendet wird als gedacht oder aber auch umfassender durch die Kunden eingesetzt wird, spürt dies der Kundendient als erstes. Er kann dem Engineering wertvolle Informa­tio­nen zu Kundenbedürfnissen und Produkten geben und so die Innovation im Unternehmen umfassend unterstützen. Viel zu wenig wird dieses Potential des Kundendienstes heute systematisch genutzt, um Ursachen für Probleme und Möglich­keiten für die Produktverbesserung und Produktinnovation systematisch auszuloten.

Intelligente Assistenten

In einem Forschungsprojekt der Hochschule Luzern mit UMB werden intelligente Assistenten entwickelt, die den Kundendienst in allen drei Phasen unterstützen und einen besseren Zugang zum Wissen des Kundendienstes ermöglichen.

Der Skill Manager hat einen aktuellen Überblick über die Kompetenzen, die im Service Desk benötigt werden oder zur Verfügung stehen. Der Assistent im Hintergrund verfolgt die Problemlösungsprozesse im Kundendienst: Wer wird für ein bestimmtes Problem involviert, wem wird welches Problem zugewiesen, wer löst ein Problem abschlies­send? Durch eine Analyse dokumentierter Problemlösungsprozesse oder eine Beobachtung der laufenden Prozesse kann der Skill Manager sehr schnell erkennen, welcher Experte bei welchem Problem hinzugezogen werden soll. Er kann so auch die Triage der eingehenden Problem-Tickets übernehmen und Vorschläge für die Zuweisung von Problemen zu Experten machen oder Tickets automatisch zuteilen. Durch einen Zugang zu Kalendern und Arbeitskörben des Teams ist er über ihre Verfügbarkeit und Arbeitsbelastung informiert und kann die Triage entsprechend an-
passen.
Der Background Knowledge Worker verwaltet die Informationsquellen für den Kundendienst und aktualisiert sie ständig anhand der auftretenden Probleme und der zu betreuenden Kundensysteme. Er verschafft fehlende Informationen und hat stets die passenden Informationen zu einem Problem parat. Ebenso entlastet er auch das Team, indem er veraltete Informationsquellen und Dokumente erkennt und aus dem Wissenspool entfernt. Moderne Suchtechnologien, Methoden der Künstlichen Intelligenz zur Wissensgewinnung und -repräsentation zum Beispiel in Form von Ontologien machen dies möglich.

Der Scribe ist der intelligente Schreiberling des Service Teams, notiert alle Probleme genau, fragt gegebenenfalls bei den Kunden nach, ergänzt mit nützlichen Informationen und dokumentiert die Lösungen. Einfache Probleme löst er gleich selbst und entlastet so das Team. Dadurch, dass er alle bekannten Probleme schnell mit einem eingehenden neuen Problem vergleichen kann, kann er Ähnlichkeiten des neuen Problems zu bereits gelösten Problemen feststellen, Informationslücken auf­decken und schliessen, sowie vorhandene Lösungen auf ihre Wiederverwendbarkeit prüfen.


Diese Assistenzsysteme erleichtern nicht nur die Arbeit im Kundendienst, sie ermöglichen es auch neuen Mitarbeitern, sich schneller einzuarbeiten und das Erfahrungswissen im Team zu erhalten und besser zu teilen. Zum Beispiel kann der Skill Manager eine Skill-Landkarte zur Verfügung stellen, auf der die Kompetenzen der Teammitglieder visualisiert sind. Neue Kollegen finden so schnell heraus, wer Ihnen weiterhelfen kann.

Outsourcing und Chatbots

Intelligente Assistenten stellen eine echte Alternative zu Ansätzen dar, die eher auf Outsourcing setzen, das entweder auf den Einsatz externer, kostengünstigerer menschliche Anbieter oder auf Roboter wie Chatbots abzielt. Outsourcing und Chatbots sind für den Kundendienst nur bedingt geeignet, da der direkte und persönliche Zugang zu den Kunden dadurch eher geschwächt und der Zugang zu interessantem Wissen schwieriger wird. Der aktuelle Stand der Sprachtechnologie erlaubt es auch zurzeit nicht, wirklich in allen Situationen adressatengerecht zu kommunizieren. Als Auskunftssysteme für einfache faktenbasierte Informationen und als Unterhaltungssysteme sind Chatbots gut einsetzbar, bei der Lösung von Problemen im Kundendienst können sie aber sehr schnell an ihre Grenzen kommen, da sie zurzeit weder einen Klärungsdialog führen können, noch den Kontext einer Konversation wirklich verstehen. Dies wird deutlich, wenn man sich die Komplexität der Interaktion zwischen Kunden und Serviceteam anhand der Problembeschreibungen, dem erforderlichem Problemlösungswissen und den Kundenerwartungen genauer anschaut.

Komplexe Probleme und Hintergrundwissen

Die Beschreibung von Problemen reicht von sehr präzisen, kurzen Berichten wie "Ich habe mein Passwort vergessen, können Sie es bitte zurücksetzen" bis zu komplexen Interaktionen zwischen mehreren Menschen in verschiedenen Sprachen. Ein Beispiel, das aus UMB-Tickets für den IT-Support aus dem Jahr 2016 entnommen wurde, zeigt eine solche Interaktion.

Das Problem beginnt mit einer E-Mail in Deutsch, die die bereits gelaufene Kommunikation zwischen einer finnischen Niederlassung und der Schweizer Mutterfirma und auch die ursprüngliche Anfrage und Beschreibung des Problems enthält. Die Schwierigkeit dabei: Header, Grussformeln, Signaturen, Disclaimer und Namen erschweren das Verstehen des Problems, machen aber einen Grossteil der Problembeschreibung aus. So enthalten nur 78 der 312 Zeilen problemrelevante Informationen. Moderne, musterbasierte Verfahren und Maschinelles Lernen ermöglichen es, solche Beschreibungen automatisiert zu filtern und so dem Kundendienst kompakte Problembeschreibungen zur Verfügung zu stellen, die dann auch mit intelligenten Verfahren weiterverarbeitet werden können. In einer Stichprobe von 927 Tickets aus 2016 enthielten fast 90 Prozent E-Mail-Konversationen. Der von der HSLU entwickelte Filterservice entfernt im Durchschnitt die Hälfte eines Textes aus einer Problembeschreibung, da sie nicht relevant ist. Die Mitarbeiter des Kundendienstes werden so entlastet und sehen auf einen Blick, worum es beim Problem geht – das anstrengende und zeitraubende Durchlesen langer Texte mit hohem Anteil nicht problemrelevanter Information wird stark reduziert.


Eine weitere Dimension der Interaktion ist die Komplexität des Wissens, mit der das Serviceteam umgehen muss. Kunden-individualisierte Produkte und die zunehmende Vernetzung im Internet der Dinge führen dazu, dass Probleme kaum noch mit Wissen aus einer abgegrenzten und isolierten Fachdomäne gelöst werden können. Oft liegt die Ursache eines Problems in einem ganz anderen Bereich, als das Problem auftritt, und Servicemitarbeiter müssen Experten in verschiedenen Wissensbereichen sein und vor allem die Wechselwirkung verschiedener Technologien verstehen, um effektiv helfen zu können.

Unterschiedliche Erwartungen der Kunden

Ebenso sind viele Unternehmen mit ganz unterschiedlichen Kunden und ihren Erwartungen konfrontiert. Sowohl im Consumer- als auch Business-Bereich trifft man auf Endnutzer, die nur möchten, dass es funktioniert. Es gibt Fachanwender, die sich sehr gut auskennen, bereits selbst schon vieles probiert haben und auch verstehen wollen, warum das Problem aufgetreten ist. Und man hat es mit Experten zu tun, die eigentlich alles richtig gemacht haben, aber zum Beispiel aufgrund von Konfigurationsproblemen oder Fehlern in Produkten an ihre Grenzen stossen. Demzufolge muss die Reaktion und Lösung des Kundendienstes eine ganz andere sein, um die Erwartungen dieser Kunden gut zu erfüllen. Eine gute Interaktion und ein Gespräch zwischen dem Kundendienst und einem Kunden kann über das eigentliche Problem hinaus wichtige Erkenntnisse liefern, die dem Vertrieb und dem Engineering viel besser zugänglich sein sollten. Das Service-Team sollte durch Technologien so entlastet werden, dass Zeit für solche Gespräche bleibt. Produktausfälle oder -störungen können sowohl bei Privat- als auch Geschäftskunden sehr hohen Stress verursachen. Aus diesem Grund ist eine sehr hohe Sozialkompetenz gefordert und eine rasche und professionelle Kommunikation zum Endkunden enorm wichtig, und von zentraler Bedeutung für die Kundenzufriedenheit. Deshalb sollte die Kommunikation von Mensch zu Mensch durch den Technologie-Einsatz gestärkt und nicht geschwächt oder gar reduziert werden.
Für viele Schweizer Unternehmen hat Swissness bei ihren Kunden einen zentralen und sehr hohen Stellenwert. Der Kunde wünscht neben einer hohen fachlichen Kompetenz auch Kundennähe. Die Anforderungen an die Qualifikation und Motivation des Kundendienst-Teams steigen, und es lohnt sich für Unternehmen, den Kundendienst als wichtiges Element der Wertschöpfung und Innovation zu betrachten und dort sehr gut qualifizierte Menschen zu engagieren, welche ihre Kunden gut kennen und ihre Sprache sprechen. Moderne Technologien können helfen, den Kundendienst noch stärker als Visitenkarte des Unternehmens zu positionieren und eine perfekte Verbindung von Produkt und Dienstleistung zu ermöglichen. IT-Technologien und eine Künstliche Intelligenz, die sich als Begleiter des Menschen positioniert, eröffnen hier spannende neue Möglichkeiten. Beispiele dafür finden sich auch in den nachfolgenden Artikeln in diesem Heft.

Die Autorin

Jana Koehler ist Professorin für Informatik an der Hochschule Luzern (HSLU) und beschäftigt sich seit vielen Jahren in Lehre und Forschung unter anderem mit Methoden der künstlichen Intelligenz. Neben ihrer Tätigkeit an der Hochschule Luzern engagiert sie sich auch in der Schweizer Informatik Gesellschaft als Präsidentin der Fachgruppe für künstliche Intelligenz.


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