Interview: Open Source ist wie Skifahren

Simon Phipps, Chief Open Source Officer von Sun, erläutert im Interview Suns Open-Source-Strategie und weshalb sie ein zukunftsträchtiges Modell ist.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/15

     

Während sich Oracle, IBM oder Microsoft eine goldene Nase mit dem Verkauf von Software verdienen, setzt Sun Microsystems voll auf Open Source und gibt sämtliche Kern-Technologien von Java über Solaris bis hin zu Prozessoren frei. Gleichzeitig wird durch die Übernahme von MySQL oder Innotek (Hersteller von Virtual Box) das Software-Angebot für viel Geld ausgebaut. InfoWeek hat mit Simon Phipps, Chief Open Source Officer von Sun, über die Motivation und den Erfolg der vermeintlichen "Harakiri-Strategie" sowie Suns Sicht auf den Software-Markt der Zukunft gesprochen.






Die meisten Leute, die "Sun Microsystems" hören, denken an grosse Unix-Server für die Finanzindustrie sowie Java. Auf der anderen Seite gibt Sun in den letzten Monaten und Jahren so ziemlich jede ihrer Technologien als Open Source frei, sogar die CPUs. Bewegt sich Sun in Richtung Open-Source-Firma?



Nein. Sun hat bereits eine lange Open-Source-Tradition. 1982 wurde Sun gegründet und hat als erstes Produkt eine Workstation mit BSD verkauft. So kann man Sun quasi als Open-Source-Start-up ansehen. Und auch danach war Sun sehr aktiv im Open-Source-Bereich und hat beispielsweise NFS entwickelt und freigegeben, den Application-Server Tomcat an die Apache Software Foundation übergeben oder zusammen mit einigen anderen Firmen wie IBM die Mozilla Software Foundation aus der Taufe gehoben.
Wir machen aber nach wie vor sehr gute Server auf Basis von Intel-, AMD- und SPARC-Prozessoren.






Welche Rolle spielt dabei die Freigabe Ihrer Technologien als Open Source?



Wir arbeiten mit Open Source, denn Software ist nun mal ein integraler Teil eines Systems. Wenn wir einen Server wie den Sun Fire x4500 mit AMD-Prozessor und 48 SATA-Festplatten auf 4 HE nehmen und als Betriebssystem OpenSolaris mit dem Dateisystem ZFS darauf installieren: Was ist das dann? Ist es Open Source? Ja, es ist Open Source. Ist es ein Storage-System? Ja, es ist eines. Ist es ein Server? Ja, es ist ein Server. Also was genau ist es für ein Produkt? Es ist ein System. Ein Business-Anwender kann damit ein Business-Problem lösen. Und das ist, woran Sun letztlich interessiert ist. Darum bauen wir SPARC-Server, auf denen man Linux betreiben kann, und x86-Server, auf denen Solaris und Windows laufen.
Schlussendlich sind wir noch die gleiche Firma wie Ende der 90er Jahre, haben unser Geschäftsmodell aber ins 21. Jahrhundert transferiert, indem wir nun ein Open-Source-basierender Systemhersteller sind.






Was ist das Ziel von Suns Open-Source-Strategie?



Zuerst einmal ist die Open-Source-Strategie nicht separat. Wir sehen, dass Open Source die Art und Weise verändert, wie Software erstellt und in den Markt eingeführt wird. So glauben wir, dass Unternehmen immer stärker auf Subskriptions-basierende Services setzen. Unser Ziel ist es deshalb, der führende Anbieter im Open-Source-Bereich zu sein.
Bislang haben wir uns ganz gut geschlagen und es ist uns gelungen, alle unsere Kernplattformen wie Solaris, Java und MySQL als Open Source freizugeben. Wir haben damit einen kompletten Stack an Open-Source-Software, den jeder in seinem Unternehmen einführen und dafür bezahlen kann, wenn er einen Nutzen daraus zieht.






Ist der Wechsel auf Open Source nicht eine gefährliche Strategie? Schliesslich verdient die Konkurrenz wie Microsoft ihr Geld mit dem Verkaufen von Lizenzen. Bei Open Source gibt es nicht viele Lizenzen zu verkaufen.



Wir glauben, dass der Markt sich ändert. Weg von den Lizenzen hin zu Service-Subskriptionen. Ein Beispiel: Vor vier Jahren haben wir aufgehört, Geld für Solaris zu verlangen – das war noch bevor OpenSolaris freigegeben wurde. Wir sagten: Ladet Solaris herunter, macht damit, was immer ihr wollt. Wenn ihr es im Geschäft einsetzen wollt, kein Problem. Aber wenn ihr es im Geschäft einsetzt, wollt ihr euch vielleicht darauf verlassen können, dass euch jemand bei Problemen hilft. Und dafür gibt es Subskriptionen. Im Fall von Solaris erhalten die Anwender mit den Subskriptionen Investitionssicherheit, neue Funktionen für ihre laufenden Systeme und eine Hintermannschaft, die Unterstützung bei Problemen bietet. Wir glauben, dass dieser Ansatz, Leute zuerst zu Anwendern und erst dann zu Kunden zu machen, der erfolgsversprechendere ist als ihnen direkt Lizenzen zu verkaufen.
Bei uns ist es mit Open Source wie beim Skifahren: Man kann kostenlos abseits der Pisten fahren oder gegen Geld die von uns gepflegte und gesicherte Piste benutzen. Und das ist, was die meisten Firmen wollen. Seit wir Solaris kostenlos abgeben, haben wir mit Subskriptionen mehr Geld verdient als in den zehn Jahren davor mit dem Verkauf von Lizenzen.






Das klingt nach einem Try-and-Buy-Effekt.



Ja, auch wenn es mehr ist als ein Try-and-Buy-Effekt. Try-and-Buy ist ein sehr effizientes Marketing-Vehikel. Sind Sie beispielsweise an einem Sun-Server interessiert, können Sie ihn für 60 Tage behalten. Gefällt er Ihnen, bezahlen Sie einfach die Rechnung. Gefällt er Ihnen nicht, nehmen wir ihn zurück und übernehmen sogar das Porto.
Open-Source-Software geht aber noch einen Schritt weiter, denn man hat die Wahl, wem man Geld dafür bezahlen will: Beziehe ich kostenpflichtige Subskriptionen vom Hersteller oder engagiere ich einen Administrator, der zusammen mit der Community für mich arbeitet? Oder wenn eine Installation nicht besonders wichtig für mich ist, kann ich vielleicht sogar auf beides verzichten und mein Geld behalten. Open Source gibt einem die Freiheit, zu entscheiden, ob, wann und wieviel von einer Leistung man beziehen will.







Denken Sie also, dass das Microsoft-Modell im Sterben liegt?



Zu sagen, dass es im Sterben liegt, ist übertrieben. Allerdings bringt das Internet einen neuen Markt hervor, in der Firmen keine externe Kontrolle mögen. Während es bei Open Source um eine Gemeinschaft geht, bei der die Mitglieder Einfluss, aber keine Kontrolle aufeinander haben, basiert Microsofts Geschäftsmodell auf Kontrolle. Microsoft wird zwar weiter Lizenzen verkaufen können, aber mit ihrer bestehenden Arbeitsweise keinen Zugang zu dem neuen Markt erhalten. Wir dagegen glauben, dass Lizenzen und Kontrolle ein Auslaufmodell sind.






Wie wichtig war es für Sun, Solaris wieder auf die x86-Plattform zu bringen?



Es war sehr wichtig. Es gab eine Zeit, da boten wir Solaris nicht mehr für x86 an, weil wir damals keine x86-Systeme produzierten. Dennoch haben die Entwickler den x86-Zweig weitergepflegt. Deshalb gab es glücklicherweise keinen Unterbruch in der Weiterentwicklung, als Sun auf die Kundenwünsche einging und die x86- Produktion wieder aufnahm. Heute sind wir froh darüber, den x86-Zweig vermehrt anbieten zu können.
Heute würde ich sagen, dass die x86-Version von Solaris die wirklich wichtige ist. Suns x86-Server gehören zu den besten am Markt, wir können sie gut verkaufen und wir brauchen ein Betriebssystem, das auf ihnen läuft – und das ist Solaris.






Hat es sich für Sun gelohnt, Solaris als Open Source freizugeben?



Absolut. Schauen Sie sich die OpenSolaris-Version "Indiana" vom letzten Mai an. Sie unterscheidet sich sehr stark von früheren Solaris-Versionen und ist somit vor allem für jüngere Leute, die in die Software-Industrie kommen und mit Systemen wie Linux aufgewachsen sind, zugänglicher. Ich glaube, dass OpenSolaris häufiger genutzt werden wird als sein Vorgänger. Hätten wir Solaris nicht geöffnet, würde es wohl in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Statt dessen sehen wir, dass es immer häufiger genutzt wird.






Ian Murdoch, der für "Indiana" zuständig ist, äussert sich immer wieder in die Richtung, dass Solaris von Linux lernen müsse. Sie sagen, dass die Leute an Systeme wie Linux gewöhnt seien und deshalb erwarten, dass auch andere Systeme so funktionieren. Wollen Sie am Ende aus Solaris ein zweites Linux machen?



Nein, definitiv nicht. Ich denke auch nicht, dass Ian das denkt. Ihm geht es darum, dass OpenSolaris all die Funktionen bietet, die junge Software-Entwickler in den Betriebssystemen suchen und mit denen sie arbeiten. Beispielsweise ein Repository-basierendes Package Management oder ein zugängliches User-Interface. Die Unterscheidung findet durch Funktionen wie ZFS, DTrace oder SMF statt, die Linux nicht hat. Es geht nicht darum, Linux zu kopieren, sondern vom Markt zu lernen, den Linux kreiert hat.






Auf der anderen Seite existieren Anstrengungen, um viele dieser Solaris-Funktionen Lizenz-kompatibel zu Linux zu machen, damit sie dort integriert werden können. Fürchten Sie nicht, dies könnte Solaris schaden?



Keineswegs. Ich denke, dass Open Source es wahrscheinlicher macht, dass die beste Technologie zum Marktführer wird. Sollten wir ZFS auf eine bestimmte Nutzerschaft begrenzen, würden die besten Features von ZFS kopiert und in etwas integriert werden, was nicht ZFS ist. Dies würde zu Inkompatibilität führen und dazu, dass wir in dem Markt nicht teilnehmen könnten. Es ist sehr in Suns Interesse, dass alle Schlüsseltechnologien grossflächig integriert werden. Deshalb bin ich hoch erfreut, dass Apple ZFS in Mac OS X integriert. Dies zeigt, dass ZFS einen Markt kreiert.
Wir möchten Geschäfte machen, indem wir Märkte erschaffen oder mit ihnen wachsen. Es ist nicht unser Ziel, über Wettbewerb zu wachsen.







Sun will Solaris zu den Entwicklern bringen und Technologien zu anderen Betriebssystemen. So gibt es auch diverse Projekte im Storage-Bereich. Möchten Sie Solaris auch als Storage-Betriebssystem etablieren?



Wir haben im Frühjahr die Open-Storage-Initiative gestartet und nutzen beispielsweise Solaris und ZFS, um Storage-Systeme zu bauen. Gleichzeitig kann der Anwender die gleichen Komponenten verwenden, um selber ein Storage-System zu bauen. Storage ist ein grossartiges Beispiel, wie sich unsere vielen Technologien zu neuen Produkten zusammensetzen lassen.






Haben Sie keine Angst, dass mit Solaris StorageTek kannibalisiert werden könnte?



Nein, denn heute ist StorageTek eine Produktelinie von Sun. Und unsere Speicherlösungen arbeiten mit Solaris bestens. Der Sun Fire x4500 ist ein Beispiel für ein Solaris-basierendes StorageTek-Produkt. Je besser Solaris und ZFS werden, umso besser werden die Speicherlösungen.






Wie wird die Systemwelt in fünf Jahren Ihrer Meinung nach aussehen und wie wird Sun dazu beigetragen haben?



Das Internet führt zu einem grösseren Bedarf nach Transparenz, was dazu führen wird, dass Open Source ein vorgeschriebener Bestandteil von Business-Lösungen sein wird. Unser Ziel in der Global Government Policy Group, in der ich tätig bin, wird es sein, Regierungen und Universitäten dabei zu helfen, Regelwerke auszuarbeiten, die dazu führen, dass Open Source die bevorzugte Art der Software-Entwicklung sein wird. Wir werden auch eine höhere Nachfrage nach Open-Source-Lösungen und transparenten Technologien sehen sowie ein vermehrtes Interesse, für Wert und nicht für Lizenzen zu bezahlen.




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