Editorial

Die andere Seite der Logik


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/15

     

Die Entwicklung der Informatik lässt sich auf einen einfachen Nenner bringen: Das «Transparenz-Konzept» wurde weiterentwickelt. Dabei baut die Informatik seit je auf «die andere Seite der Logik», denn sie versteht unter Transparenz Unsichtbarkeit, das heisst das Verbergen von Informationen und Wirklichkeiten. Dieses «Information Hiding» ermöglicht es, die einzelnen Funk­tionen eines Computers voneinander zu trennen und separiert zu entwickeln und zu optimieren. Dabei nimmt die Informatik ihr Information Hiding allerdings nur zu drei Vierteln ernst, denn sie setzt häufig voraus, dass man das Leistungsverhalten der verborgenen Strukturen hinter den Schnittstellen kennt.



Der Lehrling der Informatik lernt zuallererst, dass Hardware eine Metapher ist mit unterschiedlichen Bedeutungen. «Hardware ist für mich, worauf ich aufsetze!», sagt der Meister und meint damit, dass Hardware das für ihn Transparente (= Verborgene) beschreibt, zu dem er theoretisch nur die Schnittstelle kennen muss. Praktisch benötigt er natürlich doch ein Verständnis des Antwortzeitverhaltens «seiner» Hardware.




Der generische Hardwarebegriff bezeichnet die jeweilige virtuelle Maschine, auf der die eigenen Programme laufen, und ist wichtig für das Verständnis des Komplexitätsmanagements in der Informatik. Von Fall zu Fall ist das entweder die Hardware im engeren Sinn, die systemnahe Software, die Laufzeitumgebung oder das verteilte Applikationssystem. Zentrales Meta-Pattern für den Bau von Computersystemen ist dementsprechend der Stack aus virtuellen Maschinen, weil man für das Design eines Stack-Elements nur die Schnittstellen nach unten (zur «Hardware») kennen muss.



Transparenz dient auch als Kitt zwischen Geschäftsarchitektur und IT-Architektur. Geschäftsprozesse passen hervorragend ins Bild einer modernen IT-Architektur mit Tier-/Layer- und Komponenten-Struktur. Sie stellen in der Regel den Layer zwischen Applikationsschicht und Darstellungsschicht dar und sind im Idealfall aus flexibel zusammensetzbaren Komponenten aufgebaut.



Der Fortschritt der Informatik zielt auf eine Weiterentwicklung der Transparenz, beispielsweise in Richtung einer Abstraktion von den Details des SW-Engineering. Ziel ist es, Fachexperten in die Entwicklung von Software einfacher und umfassender als bisher einbeziehen zu können durch Entwicklungsplattformen, die ein abstraktes Definieren von Eigenschaften ermöglichen. Ziel ist es auch, die Instandhaltung von oftwaresystemen so zu vereinfachen, dass sie von Fachexperten alleine durchgeführt werden kann. Das Verändern von GUIs, Prozesstrukturen, Kommunikationsprotokollen oder Sicherheitsregeln soll durch Konfigurieren statt durch Programmieren möglich sein. Viele neue Systeme bieten einige dieser Möglichkeiten bereits.



Dies alles führt zur Konvergenz von Informatikperspektiven und Organisationsperspektiven. Beispielsweise können neue verwaltungswissenschaftliche Fragestellungen direkt übersetzt werden in IT-Architekturfragen und vice versa. Auch neue Geschäftsmodellierungsansätze basieren auf der in der Informatik fundamentalen Trennung des «Was» und «Wie». Dabei entsteht für die Nicht-Informatiker der Eindruck, dass sich die Informatik endlich ihren Bedürfnissen anpasst. Das ist gut so – auch wenn man genausogut sagen könnte, dass das Management von der Informatik endlich das Komplexitätsmanagement durch Transparenz-Engineering lernt!




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