Editorial

Microsoft 2.0 angekündigt, aber nicht ausgeliefert


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/20

     

Lange hatte man darauf warten müssen, Ende Oktober war es dann endlich soweit. Microsoft-CTO Ray Ozzie präsentierte auf der Entwicklerkonferenz PDC vor knapp 8000 Entwicklern eine beinahe vollständige Neuausrichtung des Softwarekonzerns. Die mit Spannung erwartete Premiere des neuen Chef-Entwicklers (er beerbte Unternehmensgründer Bill Gates auf diesem Posten bereits 2005) erfolgte sachlich und ohne Fanfaren. Die einzelnen Ankündigungen hatten es aber in sich, man muss sie teilweise sehr genau studieren, um die Implikationen zu verstehen.



Unter dem offiziellen (und im Englischen gar nicht so einfach auszusprechenden) Namen «Azure» wurde jenes «Cloud-OS» offiziell vorgestellt, an dem in der Connected Services Division in Redmond in den letzten Jahren gearbeitet wurde. Azure basiert auf Windows Server 2008 und
.NET 4.0, wird aber (zumindest zu Beginn) ausschliesslich auf Microsoft Data Centern gehostet und auf einer «pay per use»-Basis vermietet. In der Wolke vor strahlend blauem Himmel wird es alle erdenklichen Services geben, die SQL Server Services, CRM Services und die für Unternehmensanwendungen sehr wichtigen Application Server Services (der Codename dieses Projekts lautete «Dublin», von manchen wurde es während der Konferenz bereits als «BizTalk Server Express» oder «BizTalk Server ohne Lizenzkosten» verspottet). Für den Windows-PC wie wir ihn kennen wird Azure keine unmittelbaren Auswirkungen haben.




Auch die meisten Unternehmensanwendungen werden nicht über Nacht umgestellt werden, zumal vielen Verantwortlichen nach wie vor nicht wohl bei dem Gedanken sein dürfte, Unternehmensdaten auf einem Microsoft Server zu hosten. Azure wird eine neue Generation an Anwendungen ins Leben rufen, bei denen z.B. ein mobiler Datenzugriff eine zentrale Rolle spielt. Auf der PDC ging es aber nicht nur um Azure. Unter dem allgemeinen Namen Microsoft Online wird Microsoft in naher Zukunft seine Office-Anwendungen online über ein Partnermodell vertreiben. Als Antwort auf Google Apps wird es in naher Zukunft die Office Web Applications geben. Für Entwickler im Microsoft-Umfeld hat damit das Zeitalter der serviceorientierten Anwendungen endgültig begonnen, wenngleich das Kürzel SOA auf der Konferenz peinlichst vermieden wurde.



Der wichtigste Faktor, der darüber entscheiden wird, wie erfolgreich der Neustart sein wird, ist nicht die Technik, sondern das Vertrauen. Wenn die Bankenkrise eines deutlich gemacht hat, dann dass am Ende der Kette immer der Mensch steht, der Vertrauen entgegen bringen muss. Und ist das Vertrauen einmal verspielt, ist es sehr schwierig, es wieder herzustellen. Die Ankündigungen auf der PDC waren dringend erforderlich, sind umfassend und erlauben es Entwicklern weiterhin, mit ihren vertrauten Werkzeugen zu arbeiten, wenngleich serviceorientierte Anwendungen ein radikales Umdenken erfordern. Alle erforderlichen Werkzeuge sind bereits als Vorabversionen erhältlich, für Entwickler gibt es kostenlose Azure-Testaccounts. Bereits Ende nächsten Jahr soll es wieder eine PDC geben, wo dann vermutlich Azure offiziell werden und bereits die nächste Version am Horizont sichtbar sein dürfte. Microsoft 2.0 wurde angekündigt, vollständig ausgeliefert wurde es noch nicht.




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