Editorial

Das Ende des Kabelsalats und der Steckdosen?


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/15

     

Kabellos zu telefonieren oder im Internet zu surfen ist heute Alltag geworden. Oft kann man sich schon gar nicht mehr vorstellen, wie das mit Kabel ging. Bei der Stromübertragung dachte man bis vor noch nicht allzu langer Zeit trotzdem kaum daran, dass sie auch schon bald kabellos sein könnte. Zwar ist die kabellose Variante heute noch ein Ding der Forschung, doch es wurde gezeigt, dass es funktioniert.


Intel und das MIT (Massachusetts Institute of Technology) sind heute federführend in der Entwicklung von «Wireless-Strom». Am kürzlich in San Francisco stattgefundenen Developer Forum stellte der Chip-Hersteller die WREL-Technologie (Wireless Resonant Energy Link) vor (siehe auch Seite 10), die auf der schon im letzten Jahr präsentierten Technologie WiTricity des MIT basiert. Nur ganz kurz, wie es funktioniert: Zwei Spulen senden einander die Energie durch elektrische Resonanz, das heisst sie schwingen und erzeugen dadurch elektromagnetische Wellen, die dann wiederum den Strom übertragen.



Der «Wireless-Strom» ist, neben einigen anderen Forschungsgebieten, auch auf der Gartner-Liste der «IT Grand Challenges», also der grössten Herausforderungen für die IT in den kommenden 25 Jahren, zu finden und soll eine grosse Zukunft haben. Das ist unbestritten, ich bin aber doch noch skep­-tisch ...


Wieso gibt es heute bereits riesige WLAN- und Handy-Netze, während die drahtlose Stromübertragung noch immer in den Kinderschuhen steckt. Das, obwohl wir den Strom schon seit Jahrzehnten kennen und das Bedürfnis nach Akkus und Batterien, sprich keinen Kabeln, auch schon ein ganzes Weilchen länger aktuell ist. Es scheint also, bei all der aktuellen Euphorie, alles andere als einfach zu sein! Das beweisen bei genauer Betrachtung ja auch die ersten Versuche von Intel und dem MIT: Die Spulen sind noch riesig, können erst ein paar Watt übertragen und die maximalen Abstände betragen knapp einen Meter, ansonsten geht zu viel Strom einfach so verloren. Beim heutigen Green-IT-Hype ist aber jede noch so kleine Energie-Ineffizienz undenkbar.


Undenkbar wäre der Wireless-Strom bestimmt auch für die grosse Gruppe der Strahlungs-Gegner. Wie schädlich sind die erzeugten Magnetfelder auf den Menschen? Intel und das MIT lassen einen wissen, biologische Körper würden so gut wie gar nicht darauf reagieren und das System stelle für Menschen kaum gesundheitliche Risiken dar. Seien wir ehrlich: «So gut wie» und «kaum» klingen nicht ganz so überzeugend ...


Weiter entstünde mit dem kabellosen Strom ein neues und grosses Security-Problem. Irgendwie müsste man den Strom ja noch verschlüsseln, begrenzen oder gar mit einem Passwort versehen, ansonsten könnte ja jeder in oder um meine Wohnung seine Handys und Laptops laden. Einmal abgesehen davon, dass die Spulen beziehungsweise Empfänger je einmal die Grösse erreichen, um in den mobilen Geräten Platz zu finden. Justin Rattner, Intels CTO, rechnet damit aber bereits in vier Jahren. Gartner glaubt, dass man von einer solchen Lösung noch sehr weit entfernt sei. Ich bin gespannt.


WREL und WiTricity zeigen vielversprechende Ansätze, werden aber meiner Meinung nach noch einige Unannehmlichkeiten und Probleme erhalten. Am MIT und bei Intel forscht man aktuell bestimmt auch an bewährten Lösungen, wie langlebigeren Akkus oder effektiveren, kleineren Solarzellen, die ganz nebenbei völlig «green» sind. Solche Arbeiten würde ich intensivieren, auch wenn man damit den Kabelsalat nicht komplett wegzaubern könnte.

(mv)


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